Professor Dr. Egbert Daum, Gertrud Ritter und der druckfrische Vestische
Kalender 2010. Foto: Andreas Kalthoff
Der Beisenkamp heute – ein Anblick, der Professor Dr. Egbert Daum in der
Seele weh tut. „Politiker und Denkmalschutz haben versagt. Sie haben die
Chance vertan, ein Stück kulturellen Erbes des Ruhrgebiets zu retten.“
Zur neuen Ausgabe des Vestischen Kalenders hat der gebürtige Dattelner (68)
einen elfseitigen Text beigesteuert, über den einstigen architektonischen
Charakter der 100 Jahre alten Bergbausiedlung und die Renovierungssünden im
Zuge der Privatisierung seit Ende der 70er-Jahre. Titel: „Vom Umgang mit
kulturellem Erbe – neue Perspektiven auf die Siedlung Beisenkamp in Datteln.“
„Ein hochinteressanter Beitrag“, findet Gertrud Ritter, die Vorsitzende des
plattdeutschen Sprach- und Heimatvereins Datteln. Sie bedauert es, „dass wir
damals nicht hartnäckiger waren und uns nicht noch mehr dafür stark gemacht
haben, den Beisenkamp unter Denkmalschutz zu stellen.“ Damals, das war in den
Jahren nach der Schließung von Zeche (1972) und Kokerei (1974). 1978 begann
der Verkauf der Doppelhaushälften zu durchschnittlichen Preisen von 33000
D-Mark. Nach heutigen Maßstäben unglaubliche Schnäppchen.Dass die frisch
gebackenen Hausbesitzer – zuvor meist langjährige Mieter – ihr Eigenheim nach
eigenem Geschmack und Bedürfnissen umgestalten wollten, dafür hat der
Professor Verständnis. „Auf der Zeche sind sie genug kontrolliert und
bevormundet worden.“ Renovierungswut als Zeichen neuer Freiheit. „Jeder machte
mit seinem Eigenheim, was er wollte“, sagt Daum. Die „einzigartige
gestalterische Einheitlichkeit der Siedlung“ ging verloren. Alte Türen,
Klappläden und Sprossenfenster verschwanden. Stattdessen gab es ein
Sammelsurium von Baumarktprodukten.
So wurde aus „einem der schönsten und besterhaltenen Beispiele des
Arbeitersiedlungsbaus“ ein „groteskes Negativ-Beispiel“ für den Umgang mit
kulturellem Erbe. „Noch nicht einmal Hausnachbarn konnten sich auf eine
einheitliche Gestaltung ihrer Haushälften einigen“, sagt Daum. Links
verklinkert, rechts verputzt – solche Beispiele gibt es reichlich, aber nicht
nur im Beisenkamp.
Den schwarzen Peter schiebt Daum der damaligen Stadtspitze unter Bürgermeister
Horst Niggemeier in die Schuhe. Die habe, kurz vor der Kommunalwahl 1979,
Wählerstimmen im Blick gehabt, als sie die bis dahin bestehende
Gestaltungssatzung für den Beisenkamp lockerte und dies als
Bürgerfreundlichkeit verkaufte. Die Neuauflage der Gestaltungssatzung
verdiente allenfalls den Titel Verunstaltungssatzung, so Daum.Dem
Negativbeispiel Beisenkamp hält der Professor ein positives entgegen: die
Siedlung Dahlhauser Heide in Bochum. Beisenkamp und Dahlhauser Heide verband
viel: Beides sind Krupp-Arbeitersiedlungen, entworfen vom Architekten Robert
Schmohl. In Bochum sei das gelungen, was in Datteln versäumt wurde, sagt Daum.
Den Bewohnern sei ein Bewusstsein für den historischen Wert ihrer Siedlung als
Baudenkmal vermittelt worden. Und es gibt bis heute eine Gestaltungssatzung,
die strenge Auflagen zur Gestaltung von Vorgärten, Dächern, Anbauten,
Fenstern, Türen und Fassaden macht. So hat sich die Dahlhauser Heide ihren
ursprünglichen Charme erhalten.
Historische Bausubstanz wurde gerettet: Fachwerkhäuser, Sprossenfenster,
Lamellen-Fensterläden und vor allem der für Krupp-Arbeitersiedlungen typische
einheitliche Stil.„Im Beisenkamp kam weit mehr abhanden als eine idyllische
romantische Kulisse, in den Augen von Denkmalpflegern wurde ein historisches
Zeugnis, ein Stück Ruhrgebiet, ein kulturelles Erbe sondergleichen verspielt“,
meint Professor Daum.Aber noch sei das kulturelle Erbe nicht gänzlich
verloren. Nach wie vor gebe es einige ursprüngliche Häuser. Türen, Fenster und
Fassaden wie damals. „Die ganze Siedlung wird man nicht mehr retten können“,
meint Daum. „Aber die letzten Reste“. Das sei eine Aufgabe für Politiker,
Denkmalschützer – aber vor allem der Hausbesitzer selbst. Und vielleicht
könnten einige Eigentümer ja sogar davon überzeugt werden, ihre Häuser
rückzubauen, hofft Daum. „Nach dem Motto: Das will ich auch so haben, wie es
früher war und nicht das vorgestanzte, gar nicht hierher passende Zeugs aus
dem Baumarkt.“
Von Björn Korte
Schick renoviert, aber nicht nach Regeln des Denkmalschutzes. Im Beisenkamp
ist seit Ende der 70er-Jahre ein bauhistorisch bedeutsames Stück
Ruhrgebietsgeschichte verloren gegangen, beklagt Prof. Dr. Egbert Daum im
neuen Vestischen Kalender. Foto: Andreas Kalthoff
Geboren 1941 in Datteln, aufgewachsen am Neuen Weg in Meckinghoven. Sein Vater
kam 1945 bei einem Bombenangriff in Datteln ums Leben. Zwölf Jahre war Daum
Professor für Geografie an der Universität Osnabrück . Vor zwei Jahren
emeritierte er. Daum lebt in Verl bei Gütersloh, hat den Kontakt zu seiner
alten Heimat aber nie abreißen lassen.
304 Seiten stark ist die 81. Ausgabe des Vestischen Kalenders. Das Buch kostet
21,45 Euro und ist in Datteln u.a. in den Buchhandlungen Deilmann und Tänzer
sowie bei der Vorsitzenden des Heimatvereins, Gertrud Ritter, zu haben:
Schlossstraße 45, 62019.Neben einem Kalender mit Museums-Fotos aus der Region,
einer Übersicht über die Museen im Vest und vielen Geschichten zu Historie,
Kunst, Kultur und Natur in Dattelns Nachbarstädten sowie Mundart und Gedichten
gibt es auch wieder Beiträge von Dattelnern. Der gebürtige Dattelner Prof. Dr.
Egbert Daum hat über den Beisenkamp geschrieben, Rita Möcklinghoff-Kohts über
mittelalterliche Gerichtsbarkeit in Waltrop und Datteln. Von Elisabeth
Wiesenhöfer und Eberhard Holz stammen zwei Gedichte „auf Platt“.