Die 3. Generation Ruhrgebiet

Dattelner Ratsherren mit Migrations-Hintergrund sprechen beim Heimatverein

über ihre Arbeit

von Alfred Pfeifer, Dattelner Morgenpost vom 14. Juni 2017

DATTELN. „Ich kann bis heute kein Fußballspiel Deutschland gegen die Türkei

gucken. Da bin ich hin- und hergerissen, beides ist meine Heimat“, gestand der

SPD-Ratsherr Hakki Sancaktaroglu jetzt bei einem Besuch des Plattdeutschen

Sprach- und Heimatvereins. Unter dem Titel „Heimat finden“ hatte der Verein

drei Kommunalpolitiker mit Migrations-Hintergrund eingeladen, über die

Beweggründe für ihr politisches Engagement in ihrer Heimatstadt Datteln zu

sprechen.

Moderiert vom Vorsitzenden des Heimatvereins, Theo Beckmann, wurde es ein sehr

interessanter und kurzweiliger Nachmittag im frisch renovierten

Dorfschultenhof.

Die drei Ratsmitglieder Mohamad El-Zein (Grüne), Muhammet Aytekin (CDU) und

Hakki Sancaktaroglu (SPD) sind natürlich längst deutsche Staatsbürger, aber

ihr Weg dorthin, ihre Vogeschichten sind ganz unterschiedlich.

Der CDU-Ratsherr Muhammet Aytekin zum Beispiel kam erst mit 18 Jahren nach dem

Abitur in der Türkei nach Deutschland. „Mein Vater war schon zehn Jahre zuvor,

1964, als Gastarbeiter nach Deutschland gegangen. Er war Bergmann auf der

Zeche Ewald. Damals waren alle wertvollen Sachen made in Germany. Deshalb

wollte ich unbedingt hierher. Mein Vater hat das nicht gern gesehen, er

wollte, dass ich in der Türkei bleibe.“ In den 70er und 80er-Jahren machte

Aytekin dann seine prägenden Erfahrungen, die ihn schließlich in die Politik

führten. „Die türkischen Gastarbeiter der ersten und zweiten Generation haben

ganz viel falsch gemacht. Sie haben immer wieder gesagt, dass sie eines Tages

zurück gehen werden, haben ihr ganzes Geld in die Türkei geschickt und dort

Häuser gebaut, die dort später alle leer standen, während sie hier in

Schlichtwohnungen lebten und sich in Gettos abschotteten.“ Ein weiterer

gewichtiger Schritt in die falsche Richtung sei das Aufkommen des

Satellitenfernsehens gewesen. Nun lebten immer mehr Migranten in

Parallelgesellschaften. Dagegen wollte Aytekin etwas tun. Zunächst als

Vorsitzender des Ausländerbeirates (1999), und wenig später kandidierte er für

den Stadtrat, weil er erkannte, dass er dort sehr viel mehr bewegen konnte.

Wie wichtig sein politisches Engagement sei, das könne man daran sehen, „dass

beim Referendum 70 Prozent der Türken im Ruhrgebiet gegen die Demokratie

gewählt haben“.

Auch der Grünen-Politiker Mohamad El-Zein hatte frühzeitig großes Vertrauen in

die politischen Gremien seiner neuen Heimat. Als Kind des Bürgerkrieges im

Libanon kam er im Dezember 1986 nach Datteln und wurde „hier sehr herzlich

aufgenommen“. Als ältester Sohn der Familie war er schon früh für seine acht

Geschwister mitverantwortlich. „Da habe ich es mit der Schule nicht so genau

genommen.“ Nur gut, dass es in den entscheidenden Momenten immer wieder

engagierte Dattelner gab, die ihn unter ihre Fittische nahmen. Mal war es die

Lehrerin, mal war es der Lehrmeister. Am Ende machte El-Zein Karriere und

schaffte die Prüfung zum Konditormeister. Seine Unterstützer von damals sind

für ihn leuchtende Beispiele, dass es sich lohnt, sich für andere einzusetzen.

Da war der Weg in die Kommunalpolitik nicht mehr weit, „denn ich war mir

sicher, dass ich im Stadtrat etwas verändern kann“. Aus eigener, guter

Erfahrung rät Mohamad El-Zein den Geflüchteten, die heute hier her kommen:

„Macht Sprachkurse, besucht Integrationskurse, kniet euch in der Schule rein.

Das ist eine große Chance für euch.“

Sozialdemokrat Hakki Sancaktaroglu ist gebürtiger Dattelner („Meine Kinder

sind jetzt die dritte Generation Ruhrgebiet“, sagt der Ratsherr schmunzelnd).

Allerdings wurde er mit einem Jahr zu den Großeltern in die Türkei geschickt,

weil die hart arbeitenden Eltern sich nicht ausreichend kümmern konnten. Erst

mit zehn Jahren kam Hakki zurück. Sehr zielstrebig nahm er als junger Mann ein

Ingenieurstudium auf, das er mit Diplom abschloss, um dann noch ein zweites

Studium zum Bankwirt anzuhängen. Im Jugendzentrum kam er das erste Mal mit

Politik in Berührung. Und weil er „keine richtige Kindheit“ hatte und seine

Familie in jungen Jahren sehr vermisste, ist ihm Familienpolitik bis heute

besonders wichtig und eine Triebfeder seiner politischen Arbeit. Es gehe ihm

aber auch darum, zu zeigen: „Ich gehöre nicht in eine Sonder-Schublade, ich

bin einer von euch!“

Foto: Der Heimatverein lud zum Kaffeetrinken mit Ratsherren (v.l.): Mohamad

El-Zein, Theo Beckmann, Muhammet Aytekin und Hakki Sancaktaroglu.